20.05.2021

EZB-Risikoszenario: Steigende Kreditrisiken, Klimawandel und geringe Profitabilität

Laut dem Finanzstabilitätsbericht der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Mai 2021 führen die ungleichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu einer Konzentration von Finanzstabilitätsrisiken in bestimmten Sektoren und Ländern, die oftmals bereits zuvor höhere Verwundbarkeiten aufwiesen. „Mit dem Abebben der dritten Pandemiewelle im Euroraum bleiben die Risiken für die Finanzstabilität erhöht und sind zunehmend ungleich verteilt. Eine höhere Schuldenlast der Unternehmen in Ländern mit einem größeren Dienstleistungssektor könnte den Druck auf die Regierungen und Banken in diesen Ländern verstärken,“ so der Vizepräsident der EZB, Luis de Guindos. „Die umfangreichen und breit angelegten politischen Stützungsmaßnahmen insbesondere für Unternehmen könnten nach und nach stärker zielgerichtet ausgestaltet werden,“ fügte er hinzu. Die Hilfsmaßnahmen der Politik haben dazu beigetragen, dass die Unternehmensinsolvenzen während der Pandemie einen historischen Tiefstand erreichten. Mit dem allmählichen Wegfall dieser Hilfen können jedoch deutlich höhere Insolvenzquoten als vor der Pandemie nicht ausgeschlossen werden, vor allem in einzelnen Euro-Ländern. Dies könnte wiederum Staaten und Banken belasten, die Unternehmen während der Pandemie unterstützt haben.

Gleichzeitig waren in den vergangenen sechs Monaten anhaltende Kursgewinne an vielen Finanzmärkten sowie Preissteigerungen an den Wohnimmobilienmärkten im Eurogebiet zu verzeichnen, was die Bedenken hinsichtlich einer Überbewertung und möglicher abrupter Vermögenspreiskorrekturen verstärkt. Der jüngste Anstieg der Benchmark-Renditen in den Vereinigten Staaten hat Sorgen über eine potenzielle Anpassung der Finanzierungsbedingungen aufkommen lassen. Dies könnte sich auf verschuldete Unternehmen, Privathaushalte und Staaten sowie auf jene Investoren auswirken, die seit einigen Jahren in zunehmendem Maße Durations-, Kredit- und Liquiditätsrisiken eingegangen sind. Die Marktstimmung gegenüber dem Bankensektor hat sich spürbar verbessert, wie an dem deutlichen Anstieg der Aktienkurse von Banken gegenüber ihrem Tief vom letzten Oktober abzulesen ist. Die Ertragskraft der Institute ist allerdings nach wie vor gering, und die Aussichten für die Nachfrage nach Krediten sind ungewiss.

Die Qualität der Bankaktiva blieb bislang stabil, Kreditrisiken können jedoch mit zeitlicher Verzögerung zum Tragen kommen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer erhöhten Risikovorsorge. Wirksame Lösungen für notleidende Kredite und eine vollständige Nutzung vorhandener Kapitalpuffer sind erforderlich, um die Erholung zu unterstützen. Nichtbanken halten weiterhin umfangreiche Risikopositionen gegenüber Unternehmen mit schwachen Fundamentaldaten und sind angesichts der beträchtlichen Duration ihrer Anleiheportfolios, ihrer Abhängigkeit von US-Märkten und ihres hohen Liquiditätsrisikos anfällig gegenüber einem Zinsschock.

Der aktuelle Finanzstabilitätsbericht enthält zudem eine neue Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet. So könnte ein erheblicher Teil der Bankkredite an den Unternehmenssektor mit hohen klimabedingten physischen Risiken belegt sein, die unmittelbar die Geschäftstätigkeit der Firmen oder die zugehörigen physischen Kreditsicherheiten betreffen. Eine verbesserte Offenlegung und Datenverfügbarkeit sowie klarer definierte Standards für Green Finance können sowohl die Bewertung der Risiken als auch die Allokation von Finanzmitteln zur Unterstützung des Übergangs zu einer grüneren Wirtschaft erleichtern. Erste Ergebnisse eines Stresstests im Hinblick auf klimabezogene Risiken zeigen, dass frühzeitiges Handeln hier eindeutig Vorteile mit sich bringt.

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Dr. Stefan Hirschmann
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