04.09.2020

Ruhe vor dem Sturm: Welle an Insolvenzen erwartet

Bald schon wird die Corona-Schonfrist enden und eine Welle von Privat- und Unternehmensinsolvenzen über Deutschland und Europa rollen. „Insolvenzen sind ein Seismograph für das Wirtschaftsgeschehen“, sagt Volker Ulbricht Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Vereine Creditreform. Die Verschleierung der Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) dürfe deshalb nicht perpetuiert werden. „Es ist zu viel des Guten geschehen. Das war nicht effizient“, so Ulbricht gegenüber Mitgliedern der Wirtschaftspublizistische Vereinigung NRW. Das COVInsAG soll eigentlich die Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht abfedern. Ziel ist es, die Fortführung von Gesellschaften zu ermöglichen, die durch die Corona-Krise unverschuldet in eine finanzielle Schieflage geraten sind und ohne dieses Gesetz insolvent wären. Ihnen soll die Zeit gegeben werden, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit Gläubigern und Kapitalgebern Finanzierungsvereinbarungen zu treffen, um ihre Schieflage zu überwinden.

Das Aussetzen der Antragspflicht sorgt aber auch dafür, dass Unternehmen am Markt verbleiben, die eigentlich insolvent wären. Kritiker sprechen von „Zombi-Unternehmen“, durch die etwa für Zulieferer das Risiko besteht, dass sie weiter an Betriebe liefern, die nicht mehr zahlungsfähig sind.

Nach einer Studie von Creditreform beeinträchtigt die Corona-Wirtschaftskrise schon jetzt zunehmend das Zahlungsverhalten in Deutschland. Kreditgeber und Gläubiger verzeichneten in den zurückliegenden Monaten im B2B-Geschäft eine Verschlechterung der Zahlungsweise. Vermehrt mussten Zahlungsverzögerungen hingenommen werden. Insgesamt habe die Krise einen spürbaren Druck auf die Liquidität erzeugt, warnt Creditreform. Ein Anstieg der Zahlungsverzögerungen durch Engpässe beim Kunden bedeuten höhere Ausfallrisiken für die Erbringer von Leistungen und Kreditgeber. Damit droht eine Kettenreaktion insbesondere in stark verflochtenen Wirtschaftsbereichen bis hin zu vermehrten Insolvenzanmeldungen.

Die gleiche Perspektive zeigt sich auch bei den Privatinsolvenzen, die sich in Deutschland zwar im 1. Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8,4 Prozent verringert haben. Mittlerweile hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt jedoch verschlechtert. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Juni um 637.000 oder 29 Prozent erhöht. Zudem wurde bis Juni für über 11 Millionen Menschen konjunkturelle Kurzarbeit angezeigt, wie der Informationsdienstleister Crifbürgel in einer aktuellen Studie errechnet hat.

„Kurzarbeit und auch eigene finanzielle Ersparnisse mildern aktuell zunächst die finanzielle Schieflage vieler Bundesbürger ab. In einigen Fällen helfen auch weitere Kredite“, erklärt Criffbürgel-Geschäftsführer Dr. Frank Schlein. Durch die aktuelle Wirtschaftskrise werde die private Verschuldung aber deutlich zunehmen. Für das laufende Jahr geht Schlein von bis zu 85.000 Privatinsolvenzen aus – 2021 könnten es über 100.000 werden.

Im Gefolge dieser Entwicklung dürfte auch die Zahl der notleidenden Kredite (Non-performing Loans, NPL) stark steigen. Die Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) befürchtet ein Plus von mehr als 200 Prozent. Vor allem im vierten Quartal 2020 und im gesamten Jahr 2021 könnte durch die Rezession eine Welle an notleidenden Forderungen losgetreten werden. Wo in den vergangenen Jahren signifikante Fortschritte beim Abbau notleidender Forderungen erreicht wurden, muss nun wieder mit einer negativen Trendwende gerechnet werden. Banken sind deshalb gut beraten, entsprechende Maßnahmen aufzusetzen und proaktiv steigenden Kreditrisiken entgegenzuwirken.

Für weitere Informationen:
Dr. Stefan Hirschmann
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