Finanzstabilität im Euroraum könnte durch geopolitische Veränderungen auf die Probe gestellt werden
Als Herausforderung für die Finanzstabilität könnte sich der spürbare Anstieg der Unsicherheit in den Bereichen Welthandel, Verteidigung, internationale Zusammenarbeit und Regulierung erweisen. Zu diesem Schluss kommt die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrem am 21. Mai 2025 veröffentlichten Financial Stability Review.
Die häufigen Richtungswechsel in der Zollpolitik könnten neben den signifikanten Veränderungen des geopolitischen Umfelds erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen haben. Zwar sind die globalen makroökonomischen Ungleichgewichte schon seit geraumer Zeit Thema der politischen Debatte, allerdings ist nicht klar, ob Zölle das beste politische Instrument sind, um diese Ungleichgewichte abzubauen.
Die zunehmenden Handelskonflikte und die damit verbundenen Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum belasten die Aussichten für die Finanzstabilität, so EZB-Vizepräsident Luis de Guindos. Anfang April kam es an den Finanzmärkten weltweit zu beunruhigend raschen Verkäufen, und die Finanzierungsbedingungen verschärften sich deutlich. Zwar konnten risikoreiche Vermögenswerte ihre anfänglichen Verluste bis Mitte Mai wieder vollständig wettmachen, dennoch reagieren die Märkte nach wie vor äußerst sensibel auf Nachrichten zur Zollpolitik. Insbesondere die Aktienmärkte sind weiterhin anfällig für plötzliche und scharfe Korrekturen. Grund hierfür sind die anhaltend hohen Bewertungen und die weiterhin bestehenden Bedenken hinsichtlich der Konzentration von Risiken. Vor dem Hintergrund einer erhöhten Marktvolatilität könnten sich Schwachstellen bei Nichtbanken im Euroraum zeigen, die die Liquidität und Verschuldung betreffen. Dies wiederum könnte Marktschocks verstärken.
Die Bilanzen der Unternehmen und privaten Haushalte im Euroraum haben sich in den vergangenen Jahren verbessert. Allerdings dürften die Handelskonflikte und die schwächeren Wachstumsaussichten die Entwicklung der Unternehmen und privaten Haushalte in Zukunft belasten. Der Euroraum ist eine Volkswirtschaft mit einem sehr hohen Offenheitsgrad. Handelsspannungen treffen Unternehmen, die stark außenhandelsorientiert sind. Dies kann Folgen für die privaten Haushalte haben, wenn Unternehmen aufgrund handelsbezogener Beeinträchtigungen Personal entlassen müssen. In einem solchen Umfeld könnte das Kreditrisiko für Banken und Nichtbanken im Euroraum steigen, obgleich die Fähigkeit der Banken, eine weitere Verschlechterung der Vermögenswertqualität abzufedern, durch eine starke Ertragslage und umfangreiche Kapital- und Liquiditätspuffer gestützt werden sollte.
Auch wenn die öffentlichen Schuldenquoten im Euroraum nach einem sprunghaften Anstieg während der Pandemie erheblich gesunken sind, bleiben die fiskalischen Fundamentaldaten einiger Länder schwach. Pläne zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben könnten das Wirtschaftswachstum steigern, wenn sie sich auf produktive Investitionen konzentrieren. Sie könnten aber auch Risiken bergen, da der höhere Emissionsbedarf in eine Zeit fällt, in der ein Anstieg der Refinanzierungskosten zu beobachten ist. Die höheren Verteidigungsausgaben könnten zusammen mit einem schwächeren Wachstum und anderen strukturellen Herausforderungen – wie etwa durch den Klimawandel, die Digitalisierung und die Bevölkerungsalterung – die ohnehin angespannte Haushaltslage einiger Euro-Länder verschärfen.
In dem derzeit von hoher Unsicherheit geprägten makrofinanziellen und politischen Umfeld ist es von entscheidender Bedeutung, die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu wahren und zu stärken. In diesem Zusammenhang sollten die makroprudenziellen Behörden die bestehenden Kapitalpuffer- Anforderungen aufrechterhalten und die kreditnehmerbezogenen Maßnahmen beibehalten, um solide Kreditvergabestandards zu gewährleisten. Aufgrund der zunehmenden Marktpräsenz und Verflechtungen von Nichtbanken ist darüber hinaus ein umfangreiches Maßnahmenpaket vonnöten, das die Widerstandsfähigkeit von Nichtbank-Finanzintermediären verbessert. Eine größere Widerstandsfähigkeit dieses Sektors würde auch dazu beitragen, die Integration der Kapitalmärkte im Euroraum voranzutreiben.
Quelle: Pressemitteilung der Europäischen Zentralbank vom 21. Mai 2025 (zur vollständigen Fassung)